Wir leben in einer Zeit, in der sich die Welt nicht mehr in linearen Bahnen bewegt. Digitalisierung, permanente Erreichbarkeit, Unsicherheit, Informationsüberfluss, soziale Vergleichsdynamiken und ein Arbeitsleben, das immer schneller und komplexer wird – all das fordert uns heraus. Und während Führungskräfte früher Strategien, Strukturen und Zahlen lenken mussten, steht heute etwas anderes im Zentrum: die Fähigkeit, sich selbst zu führen – auch wenn äußere Bedingungen instabil sind.
Doch wie führt man sich selbst, wenn die äußere Welt uns pausenlos fordert? Wie bleibt man innerlich klar, wenn Entscheidungen ungewiss sind, Erwartungen steigen und die Zukunft diffus wirkt?
Die PSI-Theorie (Persönlichkeits-System-Interaktions-Theorie) von Julius Kuhl liefert hier einen entscheidenden Schlüssel. Sie beschreibt unser mentales Funktionieren nicht als starre Persönlichkeit, sondern als System dynamisch interagierender Prozesse, die uns Zugang zu Wissen, Motivation, Intuition und Handlungsfähigkeit ermöglichen – oder diesen Zugang unter Stress blockieren.
Wir verfügen über vier zentrale Systeme: ein Ziel- und Planungssystem (Intentionsgedächtnis), ein tiefes Selbst- und Erfahrungssystem (Erweiterungsgedächtnis), ein intuitives Handlungssystem (intuitive Verhaltenskontrolle) und ein Warn- und Problemerkennungsmechanismus (Objekterkennung). In Balance ermöglichen sie uns Orientierung, Kreativität, Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit.
Doch unter Stress verschiebt sich dieses System. Negativer Affekt aktiviert den inneren Radar für Fehler und Risiken, das Erfahrungssystem – also der Zugang zu unserem größeren Selbst, unseren Werten und Ressourcen – wird blockiert, und Handeln wird mühsam statt intuitiv. Wir schrumpfen innerlich, obwohl wir äußere Herausforderungen eigentlich mit Klarheit und Gelassenheit meistern müssten.
Stress macht uns nicht einfach nervös – Stress trennt uns von unserem intelligentesten, weitsichtigsten und authentischsten Selbst.
Genau hier beginnt wahre Selbstführung. Sie bedeutet nicht, alles zu kontrollieren oder stets motiviert zu sein. Sie bedeutet, zugänglich zu bleiben – zugänglich zu unseren Kompetenzen, zu unserer Intuition, zu unseren Werten. Selbstführung ist in diesem Sinne kein Tool, sondern ein inneres Betriebssystem-Management.
Also lautet die Frage nicht:
„Wie werde ich produktiver?“, sondern: „Wie halte ich den Zugang zu meinem erweiterten Selbst aufrecht – gerade dann, wenn mein System am liebsten in den Schutz- und Überlebensmodus gehen möchte?“
Frag dich weiter:
„Wie werde ich produktiver?“, sondern: „Wie halte ich den Zugang zu meinem erweiterten Selbst aufrecht – gerade dann, wenn mein System am liebsten in den Schutz- und Überlebensmodus gehen möchte?“
Frag dich weiter:
– Begegne ich Herausforderungen aus Angst oder aus innerer Verbundenheit?
– Treffe ich Entscheidungen aus Kontrolle – oder aus Klarheit und Sinn?
– Wie merke ich, dass mein Selbstzugang schwindet – und was stelle ich dann um?
– Welche Rituale nähren meinen positiven Affekt, statt ihn permanent zu verbrauchen?
– Wie schaffe ich Pausen, die meine Intuition aktivieren, statt nur Müdigkeit verwalten?
– Welche Werte führen mich, wenn die Welt von mir schnelle Antworten fordert?
– Wie bleibe ich auch unter Druck schöpferisch statt reaktiv?
Diese Fragen sind nicht nur persönlich relevant, sie sind organisational notwendig. In einer Zeit, in der Resilienz zur Kulturaufgabe wird, in der Unternehmen zunehmend auf psychologische Sicherheit, kollaborative Intelligenz und sinnerfüllte Leistungsfähigkeit setzen, entsteht ein neuer Führungsauftrag:
Wir müssen lernen, nicht nur Ziele zu steuern – sondern Bewusstseinszustände.
Denn nur wer mit sich selbst verbunden ist, kann andere wirksam führen.
Selbstführung im Sinne der PSI-Theorie heißt daher: Statt Stress das Kommando zu überlassen, kultivieren wir einen inneren Zugang zu Präsenz, Ressourcen und Sinn. Wir beruhigen nicht nur unseren Geist – wir aktivieren unser größeres mentales Netzwerk. Wir schaffen Bedingungen, in dem Kreativität, Klarheit und Kraft wieder dominieren.
In einer Welt, die uns fordert, ist dies kein Luxus.
Es ist die Schlüsselkompetenz unserer Zeit.
Es ist die Schlüsselkompetenz unserer Zeit.